1 Bildung als ökonomisch relevantes Politik- und Aktionsfeld
2 Die Enteignung der Öffentlichkeit durch Ökonomisierung und Privatisierung der Bildung seit den 90er Jahren
3 „Digitalpakt Schule“, „Digitale Bildungsrevolution“ und „Homeschooling in Zeiten der Pandemie“ – Die Instrumentalisierung des Bildungswesens zur Sicherung des Wachstums der IT-Wirtschat und des Wirtschaftsstandortes
4 “Gegenfeuer”: Einmischung und Vernetzung
1 BILDUNG ALS ÖKONOMISCH RELEVANTES POLITIK- UND AKTIONSFELD
Unter dem zentralen Motto „Eine andere Welt ist möglich“ bezeichnet sich attac Deutschland mit „Konzentration auf die ökonomischen, international wirksamen Dimensionen der Globalisierung” als „Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise“. Als unabhängige globalisierungskritische Bildungsinstitution leistet sie Schulungs-, Diskussions- und Informationsarbeit mit dem Ziel einer ökonomischen Alphabetisierung.
Die nachstehenden Ausführungen zeigen auf, welche gewichtigen Gründe es für attac gibt, über diese Formen der Bildungsarbeit hinaus Bildung – und damit Bildungswesen, Bildungspolitik, Bildungsökonomie – auch als inhaltlichen Gegenstand bzw. als ökonomisch relevantes, globales Politik- und Aktionsfeld zu thematisieren. Dies ist Gründungsmotiv und Anliegen des seit über 15 Jahren bestehenden Arbeitskreises Bildung und Erziehung (AK:BE) bei attac Köln.
2 DIE ENTEIGNUNG DER ÖFFENTLICHKEIT DURCH ÖKONOMISIERUNG UND PRIVATISIERUNG DER BILDUNG SEIT DEN 90er JAHREN
Seit den 60er, insbesondere den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind neoliberale Netzwerke bestrebt, international den Bildungsbereich als ökonomisch und meinungsbildend relevantes Politikfeld in zutreffender Einschätzung seiner Bedeutung zu besetzen und von Grund auf umzugestalten. Über maßgebliche Beteiligung der OECD und gut organisierte und finanzstarke neoliberale Bildungsnetzwerke (Lobbygruppen, Think Tanks, Stiftungen – in Deutschland insbesondere die Bertelsmann-Stiftung) nehmen sie seither massiv Einfluss auf die öffentliche Bildungsverwaltung und die öffentliche Meinungsbildung. Das “World Year Book of Education“ hat 2016 dieser Entwicklung mit dem Titel “The Global Education Industry” Rechnung getragen, Richard Münch veröffentlichte dazu „Der bildungsindustrielle Komplex. Schule und Unterricht im Wettbewerbsstaat“ (2018 ).
- Strategisch zentral für Deutschland war zu Beginn der 1990er Jahre die von Bertelsmann induzierte Einführung des New Public Managements (NPM), einer radikalen Neuorganisation aller öffentlichen Dienste und Institutionen, auch des Gesundheits- und Bildungswesens, unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten.
- Über Studien, die von Stiftungen, Lobby- und Wirtschaftsunternehmungen in Auftrag gegeben wurden, und anschließender medial unterstützter Präsentation der Forschungsergebnisse erfolgte ein kontinuierliches Agendasetting mit Inszenierung und Forcierung öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten. Ziel ist dabei eine interessengeleitete neoliberale Beratung und Beeinflussung von Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit für die Umgestaltung zunächst der sekundären und tertiären, mittlerweile aller Bereiche des Bildungswesens einschließlich der Kita. Als Beispiele seien genannt DeSeCo = Definition and Selection of Competencies, PISA = Programme for International Student Assessment und PIAAC = Programme for the International Assessment of Adult Competencies).
- Der europaweite Bologna-Prozess mit der Umwandlung aller Studiengänge in eine zweistufige Bachelor-Master-Struktur, die Etablierung des auch bundesweit „modellhaften“ NRW-Hochschul“freiheits“gesetzes (2007) und das von Bertelsmann mit der Hochschulrektorenkonferenz gegründete „Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)“ sind neben den vorgenannten Kampagnen zentrale Wegmarken für die Ökonomisierung und Enteignung des öffentlichen Bildungssystems in den vergangenen 25 Jahren.
3 „DIGITALPAKT SCHULE“, „DIGITALE BILDUNGSREVOLUTION“ UND „HOMESCHOOLING IN ZEITEN DER PANDEMIE“ – DIE INSTRUMENTALISIERUNG DES BILDUNGSWESENS ZUR SICHERUNG DES WACHSTUMS DER IT-WIRTSCHAFT UND DES WIRTSCHAFTSSTANDORTES
Das beschriebene Dreieck aus Wirtschaftsinteressen, Stiftungen und Politik als weltweit gebräuchliches Muster zur Agendasetzung, Steuerung und Kommerzialisierung des Bildungswesens hat seit etwa 2015 die technologische und ideologische Aufrüstung und Ausrichtung des Bildungswesens auf eine neue Lern“kultur“ durch Digitalisierung auch in Deutschland forciert vorangetrieben.
3.1 Ein zentrales Projekt dazu ist der „Digitalpakt Schule“ zwischen Bund und Ländern mit einem Finanzvolumen von 5,5 Mrd., der im März 2019 mit der Zustimmung des Bundesrates die entscheidende parlamentarische Hürde genommen hat. Wie es im „Strategiepapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung“ vom Oktober 2016 heißt, soll er „die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sichern“ und „die flächendeckende Anbindung von Bildungseinrichtungen an ein leistungsfähiges Breitbandnetz verwirklichen“ https://www.bmbf.de/files/Bildungsoffensive_fuer_die_digitale_Wissensgesellschaft.pdf .
Wichtigstes konzeptionelles Element bei dieser neoliberalen Umgestaltung des Bildungswesens ist die Bedingung der Standardisierbarkeit und Messbarkeit aller Lehr-, Lern- und Organisationsprozesse (Vermessungsparadigma) in Verbindung mit der vorherigen Einführung des Kompetenzbegriffs. Bildung, bislang charakterisiert als erziehungswissenschaftlich ergebnisoffener Prozess, wird neu definiert als das (Er-)Lernen vordefinierter standardisierter Kompetenzen. Dieses Lernen soll ausschließlich so konzipiert und organisiert sein, dass es über erfassbare und messbare Kompetenzen kontrollierbar und damit plan- und steuerbar ist – von der Kita bis zur Hochschule und im Erwachsenenalter beim lebenslangen berufsbegleitenden Lernen. Das technologische Instrumentarium hierzu lieferte die Digitalisierung zunächst der Verwaltungs- und Organisationsprozesse im Bildungswesen, insbesondere in den Hochschulen.
Parallel und aktuell fortschreitend erfolgte und erfolgt dazu der Versuch der Digitalisierung der Curriculumerstellung (Bildungsstandards), der Lehr- und Lernprozesse einschließlich der Lernumgebung und der Lernmaterialien und vor allem der Kompetenzmessung über die Einschleusung von Hard- und Software in die Bildungsinstitutionen. Favorisiert wird ein kleinschrittiges Abarbeiten vorgegebener Lektionen bei vorgegebenem Material mit Weitergabe aller anfallenden Daten an den privaten Softwareanbieter. Dabei kann potenziell jeder Mausklick und jede Reaktion des Nutzers einschließlich des Gesichtsausdrucks und anderer psychophysischer Daten taktil, akustisch, visuell erfasst, in einen von einem Algorithmus erzeugten individuell fortschreitenden Arbeitsplan transformiert und als individuelles, dem Nutzer nicht zugängliches Lernprofil über Big Data kommerziell verwertbar gespeichert werden (Lerntracking, Learning Analytics, vgl. etwa https://www.knewton.com). Diese als Web- oder E-Learning bezeichneten Angebote der IT-Branche, für eine emotionale Grundierung optional verbunden mit synthetischen Computerstimmen, werden als eigenaktives und individualisiertes Lernen beworben. Sie sind zutreffender als fremdgesteuertes, isoliertes und nicht-kooperatives kognitives Lernen zu kennzeichnen, bei dem Aspekte der personalen Kommunikation und Erziehung, erst recht einer dialogischen Erziehung, vernachlässigt bzw. gar nicht mehr mitgedacht werden.
3.2 Bertelsmann hat 2015 dazu die „Digitale Bildungsrevolution“ (Dräger/Müller-Eiselt 2015) ausgerufen, 2016 folgte das Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz (KMK). Schon vorher war 2015 im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zur Konzipierung und Implementierung des Digitalpakts die IT-Gipfel-Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ gegründet worden. Den Vorsitz übernahm dabei die damalige Bundesministerin Johanna Wanka und den Co-Vorsitz August Wilhelm Scheer, Aufsichtsratsvorsitzender und Alleingesellschafter eines privatwirtschaftlichen Beratungs- und Softwareunternehmens, der Scheer Holding GmbH. https://www.bmbf.de/de/digitalisierung-in-bildung-wissenschaft-und-forschung-gestalten-1245.html. Hier bleiben wie die zitierten Dokumente zeigen keine Wünsche der IT-Wirtschaft offen.
3.3 Die Vorgehensweise wird von allen politischen und wirtschaftlichen Akteuren als alternativlos dargestellt. Doch schon aus der Aufzählung der Akteure bei diesen drei zentralen Papieren für eine flächendeckende Digitalisierung des gesamten Bildungsbereichs ist die marktradikale Gemengelage der politischen und wirtschaftlichen Interessen ersichtlich. Sie provoziert eine Reihe von Fragen, nicht zuletzt auch die nach Alternativen.
– Wem nützt die Digitalisierung?
– Wer sind die Impulsgeber und Beteiligten bei Initiativen, Projekten, Gesetzgebungsverfahren?
– Werden Finanzierung und Interessen der Finanziers, Unterstützer, Partner transparent erläutert und erörtert bzw. problematisiert?
– Wer hat das Sagen? Wie sind die Mitsprachemöglichkeiten der Adressaten des Bildungsangebots und der Öffentlichkeit?
– Was geschieht mit den Daten? Wer hat die Kontrolle über die Daten und die Verwertungsrechte?
Erst recht stellen sich Fragen in Bezug auf die fachliche Legitimation, Theorie und Praxis der „Bildungsrevolution“.
– Was genau wird von den Akteuren unter Bildung verstanden?
– Sind Bildung und Erziehungsprozess digitalisierbar (0/1)?
– Verbessert die Dominanz der Digitalisierung Unterricht und Bildungs- und Erziehungsprozesse? Schadet sie gar?
– Wie kann ein sinnvoller und von den Nutzern kontrollierbarer Einsatz digitaler Medien im Bildungswesen erfolgen?
3.4 Empirische Befunde wie etwa die der PISA-Studie der OECD von 2015 “Students, Computers and Learning“ (https://www.oecd-ilibrary.org/education/students-computers-and-learning_9789264239555-en) verweisen eher auf eine signifikante Verschlechterung der Schülerleistungen bei Dominanz digitaler Lernmaterialien. Stattdessen betonen sie die Bedeutung guter analoger Unterrichtspraxis und die Vorrangigkeit der Beziehungsebene bzw. der Interaktion zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen bzw. zwischen den Schüler*innen.
3.5 Erst die Covid19-Pandemie von 2020 hat mit dem bundes- und weltweiten wirtschaftlichen Lockdown und der temporären Schließung aller Kitas, Schulen, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen und die damit verbundene Notwendigkeit des digital gestützten Home Office und Homeschooling die Entwicklung befeuert. Denn ungeachtet der medialen und politischen Offensive der IT-Wirtschaft, ihrer Lobbygruppen und ihrer hörigen Politiker und Medien war der „Digitalpakt Schule“ zunächst kein Erfolg. Die Mittel wurden von den Schulen nur zögerlich und in geringem Umfang abgerufen.
3.5.1 Nachtrag 1, August 2022. Bundesrechnungshof fordert Ende des Digitalpakts Schule. Heiße Luft und hohe Kosten. Vgl. lankau.de/2022/08/18/digitalpakt-schule-heisse-luft-und-hohe-kosten/
Der 2019 gestartete „Basis-Digitalpakt Schule“ für den Ausbau der Infrastruktur in Schulen ist mittlerweile durch Investitionen der Länder auf über 7 Milliarden Euro aufgestockt, von denen 1,2 Milliarden Euro ausgegeben, laufende Projekte im Umfang von 2,4 Milliarden Euro bewilligt wurden, so das BMBF im März 2022. „Auch wenn der Digitalpakt Fahrt aufnehme, blieben die Zahlen hinter den Erwartungen zurück, eine weitere Beschleunigung sei dringend nötig“, so die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (Pressemeldung No. 16 vom 4. März 2022).
… „Der Bundesrechnungshof widerspricht vehement. In einem Bericht vom August 2022 an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages … fordert er stattdessen das Ende des Digitalpakts Schule . Der Bund sei gar nicht zuständig, … Die Mittelverteilung in den 16 Bundesländern würde von insgesamt 38 Behörden und Investitionsbanken verwaltet, die Verfahren seien kleinteilig und intransparent, das Nachweisverfahren lückenhaft. Auch seien weder der pädagogische Nutzen noch Lernerfolge ersichtlich. Aufgrund der beschränkten Steuerungs- und Kontrollrechte des BMBF sollten die Finanzhilfen im Rahmen des Pakts eingestellt, auf die Verlängerung des Pakts verzichtet werden“ (Hervorhebungen J.M.)
3.5.2 Nachtrag 2, August 2023. UNESCO-Bericht zu IT in Schulen fordert mehr Bildungsgerechtigkeit. Vgl. lankau.de/2023/08/12/unesco-bericht-zu-it-in-schulen-fordert-mehr-bildungsgerechtigkeit/
„Die UNESCO hat den Einsatz von Digitaltechnik in Schulen weltweit untersucht und die Ergebnisse mit dem Bericht „2023 Global Education Monitor“ vorgelegt (418 Seiten; Zusammenfassung 35 Seiten). Der Untertitel „Technologie in der Bildung: Ein Werkzeug zu wessen Nutzen?“ verdeutlicht die Fragestellung. Das Ergebnis belegt, dass bei den aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stehen, sondern wirtschaftliche Interessen der IT-Anbieter und Aspekte der Datenökonomie. Aufgabe des Berichts ist es daher, falsche Versprechen aufzuzeigen und auf Gefahren etwa durch Datenkumulation, Fehlentwicklungen im Einsatz von IT und expandierende Kosten für Bildungseinrichtungen hinzuweisen. Das Ziel ist, den Einsatz von Informationstechnik und Künstlicher Intelligenz (KI) an den Bedürfnissen der und zum Nutzen von Lernenden auszurichten statt an Partikularinteressen der IT-Wirtschaft und einzelner Medienanbiete …“ (Hervorhebungen J.M.) .
Diese beiden Nachträge bestätigen die Berechtigung der oben aufgeführten Fragen, vgl. 3.3. Sie werden allerdings weiterhin nicht gestellt, es gibt weiterhin keine nennenswerte inhaltlich-pädagogische öffentliche Auseinandersetzung dazu. Doch allenthalben tönt es, dass Bildung und Bildungssystem nur durch die Digitalisierung zu retten sei. Hierfür seien alle Mittel und Anstrengungen zu konzentrieren. Die Schulschließungen hätten gezeigt, dass die unzureichende technologische Infrastruktur und Ausstattung verbunden mit der fehlenden Nutzungsbereitschaft und Nutzerkompetenz der Lehrerschaft den individuellen Bildungserfolg und die gesellschaftliche Wettbewerbsfähigkeit gefährden und die Achillesferse des deutschen Bildungssystems darstellten.
3.6. Die eigentlichen und grundlegenden und zentralen Mängel des Bildungswesens, die allein mit einer Digitalisierung im Bildungswesen nicht behoben werden können, vor allem nicht mit einer vordringlich technologischen Aufrüstung, bleiben unerwähnt und werden weiterhin vor der Öffentlichkeit verschleiert und von der Agenda verdrängt:
- die soziale Schieflage, der zunehmende einseitige Leistungsdruck sowie vielfältig wirkende und mit „Begabungs“mythen verschleierte Selektionsmechanismen,
- die massive Unterfinanzierung, Privatisierung und Entdemokratisierung der öffentlichen Bildungseinrichtungen durch die neoliberale Umverteilungspolitik,
- die Entdemokratisierung der Hochschulen, die als „unternehmerische“ Hochschulen nicht mehr vorrangig der wissenschaftlichen Qualität von Forschung und Lehre, gesellschaftlicher Verantwortung und Gemeinwohlorientierung verpflichtet sind, sondern betriebswirtschaftlichen und wettbewerbsbezogenen Aspekten – bei Entmachtung universitärer Mitbestimmungsorgane und Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse großer Teile der Hochschulangestellten,
- die Beibehaltung der Mehrgliedrigkeit des Schulsystems mit gymnasialen Bildungsprivilegien und ausgrenzendem Förderschulwesen bei Verweigerung einer seitens der UN rechtlich und fachlich geforderten organisatorischen, pädagogischen und finanziellen Transformation des Bildungswesens in ein inklusives Bildungssystem
- u.a.
3.7 Stattdessen beklagen Global Player wie Bertelsmann, die mit der Durchsetzung des New Public Managment für die Unterfinanzierung des Bildungswesens (und u.a. auch des Gesundheitswesens) wesentlich verantwortlich sind, in Pandemiezeiten die unzureichende Finanzierung und Ausstattung des Bildungswesens und rufen nach mehr Staat. Die FDP sorgt sich um die fehlende „Bildungsgerechtigkeit“, die vor allem durch die Ungleichheit der Ausstattung der Schüler mit Tablets, Smartphones u.a. hervorgerufen werde und nun durch entsprechende Einkäufe – bzw. die „Transformation“ öffentlicher Gelder in privatisierte Profite der IT-Wirtschaft – hergestellt werden möge. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“. Die angekündigte Anschaffung von Dienstlaptops für 800.000 Lehrer*innen ist eine weitere Stütze dieses Transformationsprozesses, der mit den entsprechenden Folge-, Wartungs- und Aktualisierungskosten auf lange Zeit den größten Teil der Bildungsetats verbrauchen und wenig Raum für Lehrereinstellungen, Schulneubauten und ähnlichen Nebensächlichkeiten der Bildungsplanung lassen wird.
4 GEGENFEUER: EINMISCHUNG UND VERNETZUNG
Die kapitalistische neoliberale Transformation von Gesellschaft und Bildung hat mit der Digitalisierung als technologisches, meinungsbildendes und vor allem auch werte- und kulturveränderndes Vehikel eine verschärfte Entwicklung genommen, die mit den politischen und ökonomischen Begleiterscheinungen der 2020 begonnenen Pandemie noch einmal beschleunigt wurde. Eine erfolgreich zu nennende demokratisch-politische Gegenwehr zur beschriebenen umfassenden neoliberalen Agenda gab und gibt es bisher immer nur partiell. Die Gewerkschaften kooperierten häufig mit den beschriebenen Akteuren (Bertelsmann) und sind eingebunden in partikulare Mitgliederinteressen, die Hochschulen in (neoliberal erzeugte) Abhängigkeiten von privaten Drittmitteln. Parteien und Politiker sind vielfach Partner oder Helfershelfer wirtschaftlicher Interessenvertreter oder denken in Wahlzyklen, wobei dies durch die noch nicht absehbaren Folgen des ökonomischen „Lockdowns“ und die offene Entwicklung der Pandemie noch verstärkt wird.
Doch es gibt konzeptionelle und politische Gegenentwürfe des “Gegenfeuers” (Pierre Bourdieu 1998), “Wortmeldungen des Widerstands gegen die Invasion des Neoliberalismus”. Die meist unabhängigen Initiativen agieren allerdings oft unverbunden und mit nur bedingt einflussreichem politischen, medialen und finanziellen Rückhalt. Dem beschriebenen Selbstverständnis entsprechend sieht der Arbeitskreis Bildung und Erziehung bei attac Köln seine Aufgabe darin, die Ökonomisierung und Privatisierung des Bildungssystems offen zu legen, zu skandalisieren und – möglichst gemeinsam mit weiteren Bündnispartnern – Projekte und Veranstaltungen der Gegenaufklärung durchzuführen, die auf ein demokratisch legitimiertes und verfasstes Bildungswesen zielen.
Denn, so hat es der Journalist Stephan Hebel in seiner Rede zu ’20 Jahre Attac’ auf den Punkt gebracht, “jede Bresche, die in den herrschenden Diskurs geschlagen wird, hat ihren Sinn … Jeder durch geduldiges Kämpfen eroberte und verteidigte Raum für Alternativen, und sei es auch nur ein Denkraum, bietet die Möglichkeit der Ermutigung für die vielen anderen, die dem krisenträchtigen ‘Weiter so’ Alternativen abringen wollen.”
Oktober 2020, Nachträge unter 3.5, 2023
Projekte, Aktionen und Veranstaltungen aus den letzten Jahren sind hier skizziert.
Oswald Pannes: OswaldPannes@gmx.de
Dr. Jürgen Münch: jmuenchkoeln@t-online.de